Sozialkapital


Das ist ein Vorabdruck aus dem Kapitel 4 – „Der Schritt in die Umsetzung“ – von Anja Kossik und Karl Hitschmann aus folgendem Werk:

Die sozioökonomische Transformation
Springer Gabler, 2021

Vervielfältigt mit Genehmigung von Springer Gabler. Die finale authentifizierte Version ist online verfügbar unter: https://www.springer.com/de/book/9783662629499

Networks together with shared norms, values and understandings that facilitate co-operation within or among groups.

Definition der OECD, 2001

Eine sehr frühe, wissenschaftliche Definition scheint jene des französischen Soziologen Pierre Bourdieu zu sein, der 1983 das soziale Kapital als die „Gesamtheit aller Ressourcen zwischenmenschlicher Beziehungen“ definiert hat (Bourdieu, 1983). Damit grenzt sich das Sozialkapital deutlich zum Humankapital ab, das als die „Gesamtheit aller Ressourcen individueller Personen“ verstanden wird. Der Übergang vom Humankapital als Summe der Fähigkeiten von Einzelpersonen zum Sozialkapital als Summe der Beziehungen zu anderen, stellt also einen eindeutigen Schritt vom Ich zum Wir, vom Individuum zum Kollektiv dar. Die Idee, nun nicht mehr ausschließlich in die individuellen Fähigkeiten, sondern auch gezielt in Beziehungen zu anderen zu investieren, erscheint vielen Managern im Sinne der Pflege von Seilschaften und Netzwerken sicherlich nicht ganz so neu und revolutionär. Der Ansatz aus dem Buddhismus hingegen, nach dem sich unsere eigene Identität letztlich nur durch die Summe aller unserer Beziehungen definiert, stellt dann doch noch einen großen Gedankensprung dar, mit dem wir uns aber bereits auf der Reise zu einem psychosozial gesunden System befinden.

Spricht man von Sozialkapital in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, dann wird darunter der durch die gesammelte soziale Kompetenz der Mitarbeiter entstehende immaterielle Vermögenswert einer Organisation verstanden. Es geht also um die Summe der sogenannten „Soft Factors“ wie Vertrauen, Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühle, um gelingende Kommunikation und Information und nicht zuletzt auch um Partizipation. Wie stark diese Faktoren in einer Organisation ausgeprägt sind, wird dadurch bestimmt, welchen Umfang und welche Qualität die internen Netzwerke besitzen, welche Regeln, Werte und Überzeugungen miteinander geteilt werden, aber auch dadurch, wie es um die Qualität der Führung und die Übernahme sozialer Verantwortung durch das Unternehmen bestellt ist. (Badura, Greiner, Rixgens, Ueberle, & Behr, 2013)

Im Detail gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Begriffsdefinitionen, die nicht nur das Ziel verfolgen, das Sozialkapital gegenüber anderen unternehmerischen Vermögenswerten genauer abzugrenzen, sondern vor allem dessen Höhe beziffern zu können. Denn genauso wie jede andere Kapitalform, kann auch Sozialkapital angesammelt und vermehrt werden. Allgemein steht die Forderung im Raum, dem Sozialkapital in einer standardisierten Form Sichtbarkeit, Bedeutung und einen Platz in betrieblichen Bilanzen zur geben. Einen Fixplatz als Wirkungsgröße hat das Sozialkapital bereits heute in den Hintergrundtheorien zur Betrieblichen Gesundheitsförderung. Denn in diesem Zusammenhang ist bekannt, dass gesundheitspolitische Maßnahmen, die in das Sozialkapital inves- tieren den größten Einfluss auf das Wohlbefinden, die Kreativität, die Bindung an das Unternehmen und die Innovationskraft der Mitarbeiter haben. Dabei können durch Verbesserung des Betriebsklimas und die Implementierung von Wertschätzung und Vertrauen in die Unternehmenskultur die größten und auch langfristig wirksamsten Effekte erzielt werden. (Badura, Walter, & Hehlmann, 2010)

Wie wirkt Sozialkapital und wie entwickelt man es

Dazu wollen hier eine einfache und hoffentlich auch praktisch anwendbare Definition von Sozialkapital als die „Anzahl und Dauer von wirkungsvollen sozialen Interaktionen pro Zeiteinheit“ anbieten. Dabei ist uns besonders das Wort „Wirkung“ wichtig, das die Bedeutung des viel aussagekräftigen englischen Begriffs „Impact“ zwar leider nur unvollständig wiedergibt, aber zumindest die beste Annäherung in deutscher Sprache darstellt. Denn Wechselbeziehungen müssen einen Impact haben, damit sie auf positive Weise zum Sozialkapital beitragen. Je öfter und länger eine Person wirkungsvoll mit anderen interagiert, desto besser vermehrt sie ihr eigenes „Sozialkapital“. Je wirkungsvoller Organisationen sozial nach außen agieren, desto größer wird auch ihr „Sozialkapital“ werden.

In Zeiten der Allgegenwärtigkeit sozialer Medien, sollte wirkungsvolle soziale Interaktion jedoch nicht mit der Anzahl an Followern und Freunden verwechselt werden, die in der Regel nur einen einseitigen Kommunikationskanal darstellen. Erst durch den wechselseitigen Austausch, sei es über einen Kommentar, durch Liken oder das Teilen von Inhalten werden auch digitale Kontakte zu sozialem Kapital. Dasselbe Prinzip gilt gleichermaßen beispielsweise für Mitarbeitergespräche, die in einem Monolog des Vorgesetzten oder auch des Mitarbeiters enden oder für Marketingkampagnen, die ihre potenzielle Zielgruppe laufend mit Produktneurungen und Markenbotschaften bombardieren. Erst das gegenseitige Fragen und Antworten oder der Austausch von Erfahrungen, Beobachtungen und Erkenntnissen nährt das Sozialkapital. Denn während derartiger Interaktionen passiert nämlich etwas Magisches: Wir lernen uns gegenseitig besser kennen und wir erzielen, je länger wir miteinander in einer Wechselbeziehung stehen, auch ein größeres gemeinsames Verständnis über uns und unser Thema. Das führt zum Aufbau von gegenseitigem Vertrauen, das die Grundvoraussetzung für alle erfolgreichen geschäftlichen Beziehungen innerhalb eines sozialen Systems oder zwischen sozialen Systemen darstellt. Je länger und öfter wir mit anderen wirkungsvoll interagieren desto stärker und tragfähiger wird das Bindemittel Sozialkapital – oder wie es die Sozialpsychologie ausdrückt, desto größer wird das gemeinsame Johari-Fenster (Luft & Ingham, 1955): Je mehr wir von uns selbst preisgeben, desto größer wird der gemeinsame Handlungsspielraum.

Der praktische Einsatz von Sozialkapital

Wir beobachten in der heutigen, globalisierten Wirtschaftswelt eine stetige Zunahme der Anzahl an Kommunikationskanälen und Schnittstellen. In der Außenkommunikation sprechen wir inzwischen von einer Multichannel- oder Omnichannel-Kommunikation. Die Herstellung komplexer Produkte oder Dienstleitungen benötigt verschiedene Fachkompetenzen und Wertschöpfungsketten, die miteinander zusammenarbeiten müssen, innerhalb eines Unternehmens und über dessen Grenzen hinaus. Gleichzeitig hat sich weltweit auch eine Spezialisierung auf gewisse Tätigkeiten und Fertigkeiten entwickelt. In Indien schreibt man gute Software, in China wird günstig hochwertige Elektronik gefertigt und die USA beherrschen die Vermarktung – um hier nur einige Alltagsbeispiele anzuführen.

Dieser zunehmend fragmentierte „Herstellungsprozess“ einer Wertschöpfung führt zu einer rapiden Zunahme an Kommunikations-Schnittstellen mit sehr unterschiedlichen, heterogenen Geschäftspartnern. Um die Komplexität solcher Kooperationsmodelle zu beherrschen, wird eine umfangreiche soziale und kommunikative Interaktion – also sehr viel Sozialkapital – benötigt. Je höher das ausgebildete Sozialkapital in solchen Projekten oder Unternehmungen ist, desto reibungsloser funktionieren die Regelabläufe, desto schneller werden etwaige Probleme lokalisiert und gelöst, desto rascher entstehen neue Ideen und last but not least desto weniger Kontroll- und Absicherungsaufwand wird dafür benötigt. Das wäre ohne Sozialkapital eine unvorstellbare, wenn nicht sogar unlösbare Aufgabe. Je mehr Sozialkapital wir also in unseren Projekten und Unternehmungen entwickeln und aufbauen, desto komplexere Arbeitsstrukturen können wir beherrschen und das gilt innerhalb von Unternehmen ebenso, wie in global agierenden Märkten.

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