Das ist ein Vorabdruck aus dem Kapitel 4 – „Der Schritt in die Umsetzung“ – von Anja Kossik und Karl Hitschmann aus folgendem Werk:
Die sozioökonomische Transformation
Springer Gabler, 2021
Vervielfältigt mit Genehmigung von Springer Gabler. Die finale authentifizierte Version ist online verfügbar unter: https://www.springer.com/de/book/9783662629499
The most important contribution management needs to make in the 21st century is similarly to increase the productivity of knowledge and the knowledge worker.
Peter F. Drucker, The Practice of Management
Transaktionskosten waren schon immer ein Grundbestandteil des Wirtschaftens. Geht das Eigentum an einem beweglichen oder unbeweglichen Gut auf jemanden anderen über, dann ist dieser Vorgang zwangsläufig mit einem Aufwand verbunden: Bei Waren fallen in der Regel Transportkosten an, bei unbeweglichen Gütern wie beispielsweise Grundstücken werden Transaktionen zum Nachweis des Eigentumsanspruchs in Dokumenten oder Datenbanken festgehalten. Sieht man sich aktuelle Begriffsdefinitionen an, so werden die rund um eine Transaktion anfallenden Kosten durchaus umfassend definiert und es zählen verschiedenartige Aufwände wie etwa Werbekosten, Verhandlungs- und Vertragskosten aber auch Maklerprovisionen sowie notwendige Produktanpassungen, Zahlungsabwicklungen oder Reklamationen dazu. Das heißt also, dass neben den Produktionskosten für die Herstellung eines Produkts oder einer Dienstleistung auch immer eine Reihe zusätzlicher Kosten für deren Absatz und die damit verbundenen Transaktionen anfallen. Diese Kosten können im Verhältnis zu den eigentlichen Herstellungskosten des Produkts einen durchaus signifikanten Umfang annehmen. Sie müssen dann entweder auf den Produktpreis aufgeschlagen werden oder sie schmälern bei starkem Wettbewerb und Preisdruck den Ertrag. Keine Überraschung also, dass Unternehmen bestrebt sind, derartige Aufwände möglichst gering zu halten.
Transaktionskosten der Wissensgesellschaft
Der fünfte Kondratjew-Zyklus, die Welle der Digitalisierung, hat uns mit großen Schritten vom Zeitalter der industriellen Fertigung in ein neues Zeitalter katapultiert, in dem neben Produkten und Dienstleistungen auch viele Informationen ausgetauscht werden. Damit wird die Angelegenheit aber noch viel komplexer, denn bei derartigen Transaktionen, werden Informationen nicht nur einfach übertragen, sondern sie müssen auch interpretiert, praktisch angewendet bzw. in neues Wissen übersetzt werden. Solche Abläufe sind überhaupt nicht standardisierbar und daher mit den weithin bekannten Mechanismen der Prozessoptimierung nicht mehr zu erfassen. Sie benötigen zu ihrer Optimierung vielmehr eine völlig neue und größtenteils noch unbekannte Herangehensweise. Sie werden deswegen noch nicht einmal als Optimierungsfeld erkannt und in Angriff genommen. Gleichzeitig steigt die Menge der Informations- und Wissenstransaktionen in der heutigen Wirtschaft aber massiv an und produziert ständig wachsende Kosten: Die Transaktionskosten der Wissensgesellschaft.
Gehen wir gedanklich noch einmal einen Schritt zurück zur Begriffsdefinition von Transaktionskosten. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Ronald Harry Coase hat in diesem Zusammenhang mit seinem Artikel „The Nature of the Firm“ bereits im Jahr 1937 einen viel weiter gefassten Ansatz formuliert (Coase, 1937). Coase beobachtete, dass Transaktionskosten nicht nur bei Transaktionen zwischen Unternehmen und ihren Kunden auftreten, sondern auch bei Transaktionen innerhalb eines Unternehmens. Seinen Überlegungen zufolge besteht in Unternehmen zwischen unterschiedlichen Abteilungen und Hierarchien ein informelles „Vertragsgeflecht“, das auch entsprechende Kosten verursacht. Was genau meint er damit? Seine Metapher, dass Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten über die Zeit so etwas wie informelle Verträge der Zusammenarbeit ausgearbeitet haben, aber auch ganze Abteilungen oder Fachbereiche untereinander über solche Vereinbarungen verfügen, führt uns zu dem Bild vieler unterschiedlicher Kunden-Lieferanten Beziehungen innerhalb eines Unternehmens. Und dieses Bild kennen wir auch aus der Praxis.
Eine Organisation ist also nach Coase kein völlig durchlässiges Gebilde, in dem Informationen und Wissen barrierefrei ausgetauscht werden. Bei näherer Betrachtung sieht man auch schnell, welchen Aufwand Unternehmen heute auf sich nehmen, um ihre Informationsflüsse zu organisieren. Zum einen wird eine Vielzahl völlig unstrukturierter persönlicher, telefonischer oder elektronischer Einzelgespräche geführt. Diese tragen ganz wesentlich zur internen Kommunikation bei, da sie vor allem einen vertraulichen Rahmen bieten und so zum ungefilterten Austausch wertvoller Informationen führen. Weiters findet eine Reihe informeller Meetings statt, die meist ohne Agenda und auch oft ohne Zeitplan abgehalten werden. Dort wird über bereits eingespielte Verhaltensweisen gesteuert, welche Art von Information überhaupt miteinander geteilt wird und ob diese strukturiert, unstrukturiert, vertraulich oder formal ist. Zusätzlich werden auch noch unzählige Abstimmungs- und Projektmeetings abgehalten, an denen immer mehrere Personen gleichzeitig teilnehmen müssen. Sie sind oft interdisziplinär aus unterschiedlichen Fachbereichen und Hierarchieebenen besetzt. In Stil und Ablauf unterliegen solche, eher formalen Meetings gewissen Ritualen, die dem Rollenverständnis der anwesenden Teilnehmer folgen und es werden nur die notwendigsten Informationen auf den Tisch gelegt. Alles was dort gesagt oder gezeigt wird, ist in der Regel geprüft, abgesichert und für alle gleichermaßen gültig. Ein informeller Austausch findet, wenn überhaupt, nur am Rande statt.
Wirft man einen Blick auf die Kalender hochbezahlter Manager und Fachkräfte, dann sieht man den enormen Zeitaufwand, der allein für den Austausch praktisch anwendbarer Informationen innerhalb eines Unternehmens aufgewendet wird. Dieser Austausch gestaltet sich aufgrund bestehender „Vertragsgeflechte“ zwischen den handelnden Personen, Abteilungen und Hierarchieebenen jedoch äußerst unproduktiv: Information/Wissen wird vor der Weitergabe nicht nur gesteuert bzw. gefiltert, sondern bei seiner Weitergabe wird auch nicht darauf geachtet, ob es beim Gegenüber so ankommt, dass es optimal verstanden und genutzt werden kann.
Hier begegnen wir also einem großen, in seinen Ausmaßen heute beinahe unvorstellbaren Potenzial zur Steigerung der Produktivität. Da wir es jedoch mit unstrukturierten, kontextbezogenen Informationsflüssen zu tun haben, die nicht standardisierbar sind, lässt sich dieses Potenzial aber nicht mit den bekannten Methoden der Prozessoptimierung heben. Es braucht also andere Möglichkeiten, Wissen und Informationen innerhalb von Unternehmen, einfacher, rascher, effizienter, aber auch produktiver auszutauschen. Oder um es mit Coase auszudrücken: Um die Transaktionskosten der Wissensgesellschaft zu reduzieren, braucht es besser gestaltete Verträge. Im Kontext des 6. Kondratjew-Zyklus sprechen wir statt von Vertragsgeflechten von sozialer Unordnung, die uns enorme Aufwände und Kosten für die Informations- und Wissenstransaktion beschert. Der Schlüssel, um diesen Aufwand zu minimieren ist also eine psychosozial gesunde Organisation.